
Ein Text von Dr. Heidrun Männle, Prof. Dr. Jutta Hübner, Prof. Dr. Karsten Münstedt
Ende April 2020 erschien in der Zeitschrift Toxicon der Bericht über eine Studie aus China, die behauptete, dass kein Imker bislang an COVID-19 erkrankt ist, auch nicht in der am stärksten betroffenen Provinz Wuhan. Insgesamt wurden in dieser Studie 5.115 Imker interviewt (723 in Wuhan). Auch 121 Patienten von Apitherapiezentren wurden analysiert. Obwohl einige Personen engen Kontakt zu infizierten Personen hatten, soll niemand an COVID-19 erkrankt. Yang und Mitarbeiter stellten in ihrer Arbeit die Hypothese auf, dass möglicherweise die Toleranz gegenüber Bienengift einen Schutzmechanismus gegenüber der Infektion mit Coronaviren darstellt (Yang W, Hu FL, Xu XF. Bee venom and SARS-CoV-2. Toxicon. 2020 Apr 29. pii: S0041-0101(20)30224-5. doi: 10.1016/j.toxicon.2020.04.105.). Sie hielten ihre Daten für so überzeugend, dass sie der Meinung waren, man sollte sofort mit Experimenten an Affen beginnen, um die Hypothese zu bestätigen.
Mehr zu den damaligen Forschungen lesen Sie hier: Helfen Bienenstiche gegen Corona?
Aus unserer Sicht war die Schlussfolgerung von Yang und Mitarbeitern verfrüht. Eine bestätigende Studie an einem unabhängigen Kollektiv wurde als eine sinnvollere Alternative angesehen und die deutsche Imkerschaft gebeten, sich an einer ähnlichen, aber detaillierteren Studie zu beteiligen. Nach Klärung der ethischen Voraussetzungen begann die Studie im Juni 2020.
Das Interesse war enorm. Verschiedene Medien berichteten über das Projekt und auch unter dem Imkern war das Interesse groß. Wenn man bedenkt, dass zumindest statistisch etwa 500 Imkerinnen und Imker deutschlandweit hätten erkranken müssen, zeigt unsere Untersuchung, dass wir viele Imkerinnen und Imker erreicht haben. Die Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden:
- 2 Imker sind an der Coronavirusinfektion gestorben, obwohl sie als langjährige Imker regelmäßig Bienenstiche bekommen haben.
- 45 Imkerinnen und Imker haben eine Coronavirus-Erkrankung durchgemacht.
- 99 Imkerinnen und Imker gaben an, trotz unmittelbarem Kontakt mit corona-infizierten Personen im privaten oder beruflichen Umfeld nicht am Coronavirus erkrankt zu sein.
- 90 Imkerinnen und Imker hatten fraglich Kontakt mit corona-infizierten Personen im privaten oder beruflichen Umfeld und sind nicht am Coronavirus erkrankt.
Ergebnis: Bienenstiche helfen nicht gegen Corona
Weder die Gesamtzahl der Bienenstiche, die die Imker jemals hatten, noch die Zahl der Bienenstiche, die die Imker im Jahre 2020 erlitten, noch die Reaktion auf die Bienenstiche (Immunität gegen das Bienengift) konnten als Faktoren identifiziert werden, die einen Einfluss auf die Coronavirus-Erkrankung hatten. Im Durchschnitt hatten die Imker etwa 567 Bienenstiche und 28 im Jahre 2020. Weitere Analysen bei den von Corona betroffenen Imkern zeigten, dass Imker, die auf Bienenstiche im Sinne einer stärkeren lokaleren Schwellung auf Bienenstiche reagieren, auch eher vermehrt unter Abgeschlagenheit und Halsschmerzen reagieren. Da Imker, die vermehrt von Bienen gestochen werden, auch eher geringer auf Bienenstiche reagieren, spielt möglicherweise die Reaktionsbereitschaft des Immunsystems eine Rolle.
Insgesamt konnten die Ergebnisse der Studie von Yang et al. nicht bestätigt werden. Da unsere Studie die Situation wesentlich detaillierter untersucht hat und auch ein deutlich größeres Kollektiv von Imkern erreicht hat, halten wir unsere Ergebnisse für aussagekräftiger. Unsere Ergebnisse wurden von unabhängigen Experten geprüft und wurden in einer Fachzeitschrift publiziert (Männle H, Hübner J, Münstedt K. Beekeepers who tolerate bee stings are not protected against SARS-CoV-2 infections. Toxicon 2020; 187: 279–284).
Wenngleich diese Ergebnisse im ersten Moment enttäuschen mögen, halten wir auch dieses negative Ergebnis für wichtig. Wären diese Befunde nicht erhoben worden, würden sich möglicherweise weltweit Imker, die von der Studie von Yang gehört haben, auf einen direkten schützenden Einfluss durch die Immunität gegenüber Bienengift verlassen. Sie wären im Fall des Kontaktes mit infizierten Personen dann mit der Erkrankung konfrontiert, die in einigen Fällen Langzeitfolgen hinterlässt.
Weitere Forschungen zu Corona und Bienenprodukten
Das bedeutet jedoch nicht, dass Bienengift nicht doch sinnvoll sein könnte. Bislang wurde das Coronavirus noch nicht auf Sensibilität gegenüber Bienengift getestet. Eine aktuelle Arbeit bestätigt die Wirksamkeit von Bienengift gegen eine Vielzahl von Viren (El-Seedi et al. 2020). Interessant ist vor allem eine Arbeit zum Betaarterivirus suid, des Erregers des Reproduktions- und Atemwegssyndroms der Schweine, in der gezeigt wurde, dass das Bienengift den Schweregrad der interstitiellen Lungenerkrankung positiv beeinflusst (Lee et al. 2015). Diese tritt auch bei der coronavirus-assoziierten Lungenentzündung auf und ist für besonders schwere Verläufe kennzeichnend, die vielfach zum Tode führen. Insofern könnte Bienengift tatsächlich sinnvoll sein, denn das Betaarterivirus suid ist mit dem Coronavirus verwandt.
Da mehrere Personen angeregt haben, unsere Studie auch auf andere Bienenprodukte zu erweitern, möchten wir diesem Wunsch gern aufgreifen und in einer Anschlussstudie weitere Fragen klären. Interessant ist unter anderem die Frage, ob möglicherweise Bienenstiche zum Zeitpunkt eines Kontaktes mit dem Coronavirus hilfreich sein könnten. Aber auch die Frage zum vorbeugenden Wert von Propolis u.v.a.m. sollen hier geklärt werden. Wir würden uns entsprechend freuen, wenn wir zahlreiche Rückmeldungen zu diesen ergänzenden Fragestellungen bekommen würden, auch von den Imkerinnen und Imkern, die bereits an der ersten Studie teilgenommen haben.
Zur neuen Umfrage: Fragebogen für Imker zu Corona II
Danksagung
Wir danken allen Imkern, die uns bei dieser Studie unterstützt haben, außerdem den Imkervereinen in Barnim, Büchertal, Celle, Chemnitz, Diez, Dillenburg, Effelder, Gaggenau, Greifswald, Halle (Westphalen), Hofbieber, Homberg /Ohm, Hoyerswerda, Hüttigweiler, Kandertal, Kirkel Limbach, Löffingen, Löhne, Markgräfler Land, Meppen, Minden-Nordholz, Möhlin, Mörfelden-Walldorf, Nachrodt-Wiblingwerde, Naunhof, Neustadt/Aisch, Nord-Lippe, Oberkirch, Offenburg, Oldenburg, Ottobrunn, Reichenfels, Ried, Rumeln, Schönau / Schwarzwald, Schmallenberg, Selters, Stadtilm, Stadtroda, Triberg / Schwarzwald und anderen, die die Erhebungsbögen weitergeleitet haben, ohne dies zurückzumelden. Des Weiteren geht unser Dank an den Deutscher Imkerbund e. V. und die verschiedenen Landesimkerverbände sowie den Redaktionen der Imkerzeitschriften Bienen und Natur, Deutsches Bienenjournal, und Bienenpflege.
Literatur zum Thema “Bienengift gegen Corona”
- El-Seedi H, Abd El-Wahed A, Yosri N, Musharraf SG, Chen L, Moustafa M, Zou X, Al-Mousawi S, Guo Z, Khatib A, Khalifa S. Antimicrobial properties of Apis mellifera’s bee venom. Toxins (Basel). 2020 Jul 11;12(7):E451. doi: 10.3390/toxins12070451.
- Lee J-A, Kim Y-M, Hyun P-M, Jeon J-W, Park J-K, Suh G-H, Jung B-G, Lee B-J. Honeybee (Apis mellifera) venom reinforces viral clearance during the early stage of infection with Porcine Reproductive and Respiratory Syndrome Virus through the up-regulation of Th1-specific immune responses. Toxins. 2015; 7(5):1837-1853.
- Yang W, Hu F-L, Xu X-F. Bee venom and SARS-CoV-2. Toxicon. 2020 Jul 15;181:69-70. doi: 10.1016/j.toxicon.2020.04.105.