Frage: Auf der Homepage www.tierundnatur.de stieß ich auf folgende Aussage: Zitat: Auf Beipackzetteln ist häufig „bienenungefährlich“ zu lesen … Tatsächlich aber wird die „Bienenungefährlichkeit“ industriefreundlich nach der sogenannten LD-50-Dosis definiert, was laut Pflanzenschutzverordnung besagt: Wenn mit einem als „bienenungefährlich“ bezeichneten Mittel bei sachgerechter und empfohlener Anwendung 100 Bienen in Berührung kommen und von diesen innerhalb von 48 Stunden nicht mehr als 49 Bienen sterben, dann ist das Mittel „bienenungefährlich“. Bienen, die später an einem Gift sterben, werden also ignoriert. Zitat Ende.
Ist dies tatsächlich so?
Heinz Knöbel, Heinz.knoebel@t-online.de
Antwort:
Die im Internet verbreitete Ansicht, dass man ein Präparat als bienenungefährlich einstufen kann, wenn etwas weniger als die Hälfte der Bienen, die damit in Kontakt kommen, ums Leben kommt, ist natürlich falsch. Niemand würde eine derartige Situation akzeptieren.
Offensichtlich müssen wir im Zeitalter des Internet aber mit solchen falschen Darstellungen leben.
Bienenschutz per Gesetz
Bei neuen Pflanzenschutzmitteln muss man, bevor sie der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden, prüfen, ob eine Gefahr für Bienen entstehen kann. Das ist gesetzlich geregelt. Dazu steht ein dreistufiges Prüfverfahren zur Verfügung, innerhalb dessen eine Pflanzenschutzmittelanwendung möglichst praxisnah simuliert wird. Es setzt sich zusammen aus Laborstudien, Zeltversuchen und unter Praxisbedingungen durchgeführten Freilandversuchen.
Erst Toxizitätsprüfung im Labor
Die erste Stufe ist immer eine Laborprüfung, in der die Giftigkeit eines Präparates bestimmt werden soll. Es wird die Fraßgiftwirkung (oral) und die Kontaktgiftwirkung ermittelt. Die angesprochene LD50 kommt jetzt ins Spiel. Man ermittelt in Käfigversuchen die Menge eines Präparates bzw. Wirkstoffes, die die Hälfte der Versuchsbienen innerhalb von 24 Stunden töten würde. Dazu werden fünf verschiedene Konzentrationen verfüttert bzw. auf die Einzelbienen aufgebracht und die Reaktionen verfolgt. Aus den notierten Daten werden die LD50-Werte errechnet. Diese LD50-Werte sind bei den für Bienen meist giftigen starken Insektiziden sehr niedrig und liegen z. B. bei der neuen Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide (abgeleitet vom Nikotin) im Bereich von 0,004 µg/Biene (oral) – 0,04 µg je Biene (Kontakt). Bei weniger giftigen Wirkstoffen, z. B. bei den gegen Pilzerkrankungen wirkenden Fungiziden, liegen sie dagegen häufig über 500 µg/Biene (oral und Kontakt).
Der große Vorteil dieser LD50-Bestimmung ist, dass Wirkstoffe untereinander vergleichbar werden. Und so können wir die Giftigkeit der heutigen Insektenbekämpfungsmittel mit denen vergleichen, die noch vor etwa 10 Jahren als besonders giftig galten. Imidacloprid, das Sie sicherlich ebenfalls schon von verschiedenen Diskussionen her kennen, ist etwa 4-mal giftiger als das „alte“ Dimethoat, das lange Zeit zu den bienengiftigsten Insektiziden zählte. LD50-Werte, die über 100 µg/Biene liegen, werden als nicht toxisch, Werte unter 10 µg je Biene als toxisch bewertet. Werte dazwischen weisen auf eine schwach toxische Wirkung hin.
Dann Abschätzung der tatsächlichen Gefahr
Diese im Labor bestimmte Giftigkeit (LD 50-Wert) wird nun für eine Berechnung herangezogen, die eine Gefährdung bzw. das Risiko charakterisieren soll, wenn dieses Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft ausgebracht wird. Man setzt also die Giftigkeit in Bezug zur Wirkstoffmenge, die tatsächlich im Freiland zum Einsatz kommen wird, nach dem Motto: „Die Menge macht das Gift“, wie es Paracelsus schon vor langer Zeit richtig erkannt hat. Ein Gift kann eine Wirkung nur dann entfalten, wenn es in ausreichender Menge aufgenommen wird.
Hier hilft eine Rechenformel, die mittlerweile von nahezu allen Zulassungsbehörden auf der Welt angewandt wird: Die Menge des ausgebrachten Präparates (Gramm/ha) wird geteilt durch den niedrigsten LD50-Wert. Der Quotient, der sich daraus ergibt, wird „Hazard Quotient“ (Schädigungsquotient) genannt.
Wenn dieser Wert über 50 liegt, wertet man dies bereits als Signal, dass eine Verwendung in der Landwirtschaft zu einem Bienenschaden führen könnte, wenn Bienen in diesen Kulturen sammeln. Es schließen sich dann Zeltversuche und gegebenenfalls auch Freilandversuche an, um die Gefährdung sicher beurteilen zu können. Wenn sich dann in einem Zeltversuch zeigt, dass das Versuchspräparat zu einem erkennbar höheren Totenfall gegenüber der unbehandelten Kontrolle oder zu Ausfällen bei der Bienenbrut führt, wird das Präparat als bienengefährlich eingestuft. Hier gibt es keinen Spielraum, und man wird auch eine Handvoll geschädigter Bienen nicht als tolerierbar einordnen.
Einteilung in vier Kategorien
Bei richtig bienengefährlichen Wirkstoffen liegt der Quotient in der Größenordnung von 2.000 und höher und damit weit entfernt von dem oben genannten HQ 50, bei dem man bereits hellhörig wird. Bei diesen Wirkstoffen ist die Einstufung sofort eindeutig (bienengefährlich B1), und die Anwendung in blühenden oder aus anderen Gründen (Honigtau) von Bienen beflogenen Kulturen ist nicht erlaubt. Daneben wird nach der Bienenschutzverordnung auch die Kategorie B2 als bienengefährlich eingestuft, wenn die Bienen mit dem frisch ausgebrachten Mittel in Kontakt kommen. Diese Mittel dürfen daher nur nach dem täglichen Bienenflug bis 23 Uhr ausgebracht werden. Als nicht bienengefährlich gelten, vorausgesetzt, die Anwendungsvorschriften werden eingehalten, die Kategorie B3 (kein nennenswerter Kontakt möglich) und B4 (selbst hohe Wirkstoffmengen werden unbeschadet vertragen).
Sie sehen also, so einfach wie im Internet dargestellt, macht man es sich nicht, wenn es um die Bienengesundheit geht. Sie können sicher sein, dass sowohl die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln wie auch die beteiligten Prüfeinrichtungen und beurteilenden Behörden heute äußerst sensibilisiert diesen Fragen gegenüberstehen.
Niemand will, dass Bienen zu Schaden kommen.
Dr. Klaus Wallner
Landesanstalt für Bienenkunde Hohenheim